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Vegane Kinderernährung – extrem und aufgezwungen?

Das eigene Kind vegan zu ernähren, scheint für einige Menschen an Körperverletzung zu grenzen. Dabei bestätigen weltweit diverse Ernährungsgesellschaften [1] sowie eine ganz neue Studie [2], dass eine vegane Kinderernährung machbar ist, auch wenn es einiges zu beachten gilt, z.B. in Bezug auf Vitamin B12 [3].

Aber so tief steigen Menschen, die eine vegane Ernährung für Kinder ad hoc kritisieren, ja erst gar nicht in die Materie ein. Sie kritisieren oftmals aus dem Bauch heraus, weil sie sich nicht mit dem Thema und den Beweggründen sowie der Durchführbarkeit einer veganen Lebensweise befasst haben und Veganismus als „extrem“ empfinden. Vor allem, wenn es um Kinder geht. Denn Kinder sind ihren „fanatischen veganen“ Eltern quasi schutzlos ausgeliefert; ihnen wird einfach so eine „ideologische Weltanschauung“ aufgezwungen. Und wo kämen wir denn dahin, wenn Eltern nach bestem Wissen und Gewissen ihre Kinder ernähren und ihnen moralische Werte vorleben sowie mit auf dem Weg geben würden? Ach Moment, beides gehört ja zum Elternsein dazu. Oder gilt das für vegan lebende Familien etwa nicht? Doch! Vielleicht sogar mehr als für die Durchschnittsfamilie, auch wenn ich hierzu keine Zahlen habe und auch keinesfalls sagen möchte, dass vegan lebende Familien irgendetwas grundlegend besser machen als andere Familien. Aber sie machen eben auch nichts grundlegend schlechter! Im Prinzip wenden sie moralische Prinzipien, die vermutlich fast alle Eltern ihren Kindern mit auf den Weg geben, einfach auf noch einige Mitlebewesen mehr an.
Das ist nicht extrem, das ist konsequent. Daraus resultierend treffen sie Entscheidungen für ihre Kinder und übernehmen Verantwortung, solange der Nachwuchs noch nicht in der Lage ist, die Konsequenzen des eigenen Handelns zu überschauen und davon ausgehend tatsächlich eigenständig moralisch zu handeln. So wie dies die meisten anderen Eltern auch handhaben.

Veganismus ist nicht extrem, sondern konsequent

Die allermeisten Eltern werden ihren Kindern vermitteln, dass es falsch ist, Tiere zu quälen und „grundlos“ zu töten. Dass Tiere wunderbare Geschöpfe und ihre Lebensräume schützenswert sind. Dass man u.a. deswegen eben jene Lebensräume nicht verschmutzen und zerstören darf. Vielleicht spricht man mit größeren Kindern auch mal darüber, wie grausam Pelz ist. Tierbücher sind bei Groß und Klein sehr beliebt, ebenso Serien mit tierischen Protagonist*innen. Wenn der Wunsch nach einem Haustier aufkommt, wird (hoffentlich) lang und breit erklärt, wie viel Verantwortung so ein Tier mit sich bringt. Viele Kinder wachsen sogar von Vorneherein in Familien auf, in denen bereits ein Haustier lebt. Und in der Regel bekommen sie vermittelt, dass diese Tiere zur Familie gehören und natürlich gut behandelt werden müssen.

Trotz alledem landet bei den allermeisten dieser Familien regelmäßig Fleisch auf dem Teller – und mit kleinen Kindern sicher auch oft auf dem Boden. Also Tiere. Tote Tiere. Tiere, die getötet worden sind, weil sie zufällig (historisch gewachsen) als „Nutztiere“ kategorisiert werden. Und nicht als Haustiere, die ja zur Familie gehören, und nicht als Wildtiere, deren Lebensräume erhalten werden müssen. Tiere, die aufgrund dieser, von einem moralischen Standpunkt aus betrachtet, willkürlichen Einteilung offenbar kein Recht auf Leben haben. Bzw. nur auf ein Leben, das einzig den Tod zum Ziel hat. Zum absichtlich herbeigeführten Tod, weil andere sie essen wollen. Wollen, nicht müssen. Denn hierzulande muss niemand Tiere und tierische Produkte konsumieren (seltene gesundheitliche Gründe außenvor gelassen). Tiere, die also aufgrund veralteter Traditionen und aufgrund des Appetits auf Fleisch, Milch und Co. getötet werden. Also aus niederen Gründen. Aus Gründen, die moralisch diese Tötung keinesfalls rechtfertigen können. Denn Appetit und Tradition wiegen nicht höher als ein Leben. Bevor diese Tiere aus niederen Gründen getötet werden, sind sie sehr wahrscheinlich gequält worden, denn der Großteil des hierzulande verzehrten Fleisches stammt von Tieren aus Intensivtierhaltung. Und Massentierhaltung ist eine Qual. Immer. Ein Biosiegel steht dabei für nur geringfügig bessere Haltungsbedingungen. Dazu landen noch diverse andere tierische Produkte auf den Tellern, in Bechern, in Müslischalen etc., wie Muttermilch, die eigentlich für die Kälber gedacht war, die stattdessen zu Leberwurst verarbeitet oder deren Mägen für die Käseproduktion [4] verwendet werden.

Wenn wir also unseren Kindern vermitteln, dass es z.B. falsch ist, Hundewelpen zu erschlagen, warum vermitteln wir ihnen dann, dass es ok ist, Kälber mit einem Bolzenschuss zu töten und anschließend zu essen?
Wenn wir selbst Pelz grausam finden, genau wie die Vorstellung, Katzenbabys zu ertänken, warum sind Lammfelle für Menschenbabys dann so beliebt? Warum ist es schlimm, Fuchspelz zu tragen und „Haustierbabys“ zu töten, aber ok, sein eigenes Baby auf ein totes „Nutzierbaby“ zu legen?
Warum wird das Stillen des eigenen Nachwuchses als so wichtig erachtet, aber Tiermüttern das Säugen ihres Nachwuchses verwehrt, weil die Muttermilch stattdessen als Kuh-, Schafs- oder Ziegenmilch im Kühlregal landet?

Wie kann ich meinem Kind eigentlich glaubhaft vermitteln, dass es moralisch falsch ist, Tiere zu quälen und „grundlos“ zu töten, wenn ich diesem Kind gleichzeitig tierische Produkte auf dem Teller kredenze?
Wie kann ich meinem Kind überhaupt Respekt vor dem Leben vermitteln, wenn der eigene Respekt vor dem Leben am Tellerrand endet? Glaubhaft geht das nur, wenn der eigene Widerspruch im Denken und Handeln nicht bewusst ist und somit an die nächste Generation weitergegeben wird.

Mir war dieser Widerspruch selbst lange nicht bewusst und als die erste Person in meinem Freundeskreis verkündete, fortan vegan zu leben, war mein erster Gedanke auch, dass das irgendwie „übertrieben“ wäre. Zu dem Zeitpunkt war ich selbst noch Vegetarierin und mir war nicht klar, dass nicht nur für Fleisch, sondern auch für alle anderen tierischen Produkte Tiere sterben müssen. Ich glaube, dass das sehr vielen Menschen nicht bewusst ist. Genauso wenig wie der Widerspruch im eigenen Handeln. Ich verurteile niemandem, der nach wie vor diesem Widerspruch erliegt und gar nicht realisiert, dass der Konsum tierischer Produkte den weit verbreiteten moralischen Prinzipien in Bezug auf andere Lebewesen zuwiderläuft. Aber ich kann nicht hinnehmen, als extrem bezeichnet zu werden oder sogar als grausame Mutter, weil ich meinem Kind tatsächlich vermittle, dass es falsch ist, andere Lebewesen zu quälen und „einfach so“ zu töten. Weil ich meinem Kind wirklich mit auf den Weg gebe, Respekt vor allen Lebewesen zu haben. Und dass es kein resepktvolles Töten geben kann, es sei denn, es betrifft den eigenen Tod und es ist selbst gewünscht. Zu wollen, dass nicht nur sog. Haustiere diesen Respekt verdient haben, sonden auch sog. Nutziere, ist nicht extrem, sondern konsequent.

Entscheidungen für sein Kind zu treffen, gehört zum Elternsein dazu

Einen Satz, den sehr viele vegan lebende Eltern nicht mehr hören können, ist der Vorwurf, sie würden ihrem Kind etwas aufzwingen. Ja, der Mann und ich entscheiden zum Großteil, was es hier zu Hause zu essen gibt. Ich weiß ja nicht, wie das bei anderen Familien mit kleinen Kindern so gehandhabt wird, aber mein Kind geht mit seinen drei Jahren nicht allein einkaufen, um dann hier im Anschluss für die ganze Familie zu kochen. Natürlich darf es sich etwas zu essen wünschen, es darf beim Einkaufen auch etwas aussuchen und es hilft sehr sehr gerne beim Kochen.   Mein Kind wird nicht zum Essen gezwungen, es muss nicht aufessen und auch nicht probieren, es muss hier zu Hause auch nicht zu bestimmten Zeiten essen. Aber es kann eben nur essen, was auch da ist – so wie andere Kinder zu Hause auch. Ich würde meinen, dass das so oder so ähnlich in den allermeisten Familien abläuft. Es gibt Familien, die essen meistens gut bürgerlich und deftig, andere Familien, die am liebsten Pasta essen, Familien, in denen es kein Schweinefleisch gibt, Familien, in denen bestimmte Gemüsesorten nie auf dem Tisch landen, weil die Eltern sie nicht mögen und deswegen nicht kaufen usw.

Wenn mein Kind sich etwas zu essen wünscht, dann sind das vegane Gerichte. Weil es das es ist, was es kennt. Aber nicht nur deswegen. Es kennt aus der Kita auch omnivores Essen, aber das wünscht es sich nicht. Möchte es Würstchen essen, betont es von sich aus, dass es natürlich vegane Würstchen essen möchte. Weil es in dem Bewusstsein aufwächst, dass wir keine Tiere essen. Wir leben – so wie alle anderen Familien auch – etwas vor.
Das tut man automatisch. Egal, was man isst. Und natürlich orientiert sich unser Kind daran.
Zum Vorleben gehört auch, dass Eltern ihren Kindern moralische Werte vermitteln. Diese Werte entscheiden bei uns zu Hause nun mal auch darüber, was auf dem Teller landet. So wie bei Familien, die vielleicht nur Bio-Lebensmitel kaufen. Oder Wert auf Regionalität und Saisonalität legen. Wenn das Vermitteln moralischer Werte sowie eine bewusste Lebensmittelauswahl bedeuten, seinem Kind die eigene Lebensweise aufzuzwingen, dann stehe ich dazu, dass ich meinem Kind eine vegane Lebensweise aufzwinge. Dann mache ich aber auch nichts anderes als die meisten anderen Eltern auch. Im Grunde sind Erziehung oder auch vorleben, vermitteln und Entscheidungen treffen immer etwas Aufgezwungenes. Ob nun vegan, vegetarisch oder omnivor lebend. Seinem Kind Fleisch zu kredenzen ist nicht weniger aufgezwungen, nur weil es (noch) die Norm ist.

Selbstbestimmung ist ein hohes Gut. Es ist essentieller Bestandteil unserer Lebensweise und unseres Vorlebens. Es ist wichtig, dass Kinder sich ausprobieren und sich möglichst frei entwickeln dürfen. Es ist wichtig, Kindern auf Augenhöhe zu begegnen, sie ernst zu nehmen und voll und ganz zu respektieren, sie ihre eigenen Entscheidungen treffen zu lassen. Dennoch gehört es zum Elternsein dazu, in einem gewissen Maß und in einem gewissen Rahmen Entscheidungen für den Nachwuchs zu treffen. Mein Kind darf sehr viel selbst entscheiden. Wie es die Haare trägt, was es anzieht, wo es wann schlafen möchte usw., bereits die allerersten Schuhe durfte es sich selbst aussuchen – nachdem ich eine entsprechende Vorauswahl getroffen hatte. Eine Vorauswahl guter Schuhe, denn mir ist die Fußgesundheit meines Kindes sehr wichtig.
Entsprechend unserer Lebensweise waren die Schuhe natürlich auch vegan. Andere Familien kaufen nur Schuhe bestimmter Marken und lassen ihr Kind daraus auswählen. Andere Eltern fragen ihr Kind erst gar nicht. Andere Eltern entscheiden vor allem nach dem Preis. Auf jeden Fall werden Entscheidungen getroffen, in Fällen, deren Hintergründe Kinder noch nicht durchschauen können. Mein Kind weiß noch nicht, wie wichtig gute und passende Schuhe sind. Es ist Teil meiner Aufgaben dafür zu sorgen, dass mein Kind solche Schuhe bekommt. Und ich sehe es auch als Teil meiner Aufgaben dafür zu sorgen, dass wir Tierquälerei und die veheerenden ökologischen Auswirkungen der Massentierhaltung, so gut es geht, nicht unterstützen. Mein Kind kann diese Folgen noch nicht überblicken. Es weiß, dass Fleisch nichts anderes als tote Tiere sind. Aber es hat noch keine Vorstellung davon, was „tot“ ist. Es kann an dieser Stelle keine reflektierte moralische Entscheidung treffen, weil ihm Zusammenhänge nicht bewusst sind, weil es die endgültigen Konsequnzen bestimmter Handlungen nicht versteht usw. Also treffe ich diese Entscheidung stellvertretend – bis mein Kind alt genug ist, diese Dinge zu durchsuchauen und zu reflektieren. Und somit wirklich in der Lage ist, aus eigenem Antrieb so zu handeln – oder eben nicht.

Genauso wie wir als Eltern z.B. unterbinden, wenn unsere Kleinkinder andere Kinder hauen. Auch wenn wir wissen, dass dahinter keinerlei böse Absicht steckt. Aber wir wissen, dass es weh tut, geschlagen zu werden und dass man niemandem Gewalt antun darf (außer in Notwehr). Wir entscheiden an dieser Stelle und greifen ein. Wir vermitteln unserem Kind, dass Gewalt nicht in Ordnung ist. Dass es Unrecht ist, jemandem Gewalt anzutun. Wie sehr viele andere Familien auch. Wir gehen dabei nur noch einen Schritt weiter und vermitteln, dass auch Gewalt gegen sog. Nutztiere nicht in Ordnung ist und entscheiden für unser Kind mit, dass wir deswegen auch keine Produkte kaufen, die nur entstehen konnten, weil anderen Lebewesen Gewalt angetan worden ist.

Was mein Kind davon später für sich mitnimmt, werde ich sehen. Mehr als ein gutes Vorbild zu sein und dementsprechend momentan Entscheidungen für mein Kind zu treffen, weil alles andere ( à la Wasser predigen und Wein trinken) mich selbst unglaubwürdig und zu einem schlechten Vorbild machen würde, kann ich nicht tun. So wie alle anderen Eltern auch nicht.

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