Dr. Markus Keller, Annette Sabersky: Öfter mal die Sau rauslassen!
Dr. Markus Keller, Annette Sabersky
Öfter mal die Sau rauslassen.
Wie wir mit pflanzenbasierter Ernährung ganz entspannt gesünder leben und das Klima retten.
Sachbuch
400 Seiten
Verlag: Ulmer (07.04.2022)
ISBN: 978-3-8186-1485-0
20,00 €
Dr. Markus Keller und Annette Sabersky haben ein Buch geschrieben, in dem sie den aktuellen wissenschaftlichen Stand zu den gesundheitlichen (und ökologischen) Vorteilen einer pflanzenbasierten Ernährung darstellen wollen. Dafür widmen sie sich vor allem den Gesundheitsaspekten sehr ausführlich und liefern einige hilfreiche Tipps, wie der Umstieg zu einer gesunden, überwiegend pflanzlichen Ernährung gelingen kann.
Das Buch ist in übersichtliche Kapitel mit zahlreichen Unterkapiteln gegliedert und verfügt über ein ausführliches Register. Das ermöglicht es den Lesenden, konkret die Themen nachzuschlagen, für die sie sich besonders interessieren. Die Autor*innen liefern somit ein sehr ausführliches, überwiegend wissenschaftlich fundiertes Nachschlagewerk.
Worum geht es? Vegan vs. pflanzenbetont
Das Wichtigste zuerst: Anders als der Titel suggeriert, handelt es sich nicht um ein Buch, das eine gänzlich vegane Ernährung propagiert. Viel mehr scheint es den Autor*innen darum zu gehen, für eine überwiegend „pflanzenbetonte“ Ernährung zu argumentieren. Das ist einerseits löblich, da die aktuelle Studienlage, wie spätestens während der Lektüre deutlich wird, eben keine Fakten dafür liefert, dass eine reine vegane Ernährung per se gesünder als eine ausgewogene, überwiegend pflanzliche Ernährungsweise ist, bei der eben auch gelegentlich tierische Lebensmittel auf dem Speiseplan stehen.
Andererseits führt der Titel dadurch leicht in die Irre, zumal hier das Tier im Vordergrund steht – anders als es im Buch selbst dann der Fall ist. Der ethische Veganismus findet hier nur wenig Beachtung. Dem Thema Tierschutz wird lediglich ein vergleichsweise kurzes Kapitel gewidmet. Daher wählen die Autor*innen auch die Begriffe „plant-based“ bzw. „pflanzenbetont“ statt „vegan“. Damit meinen sie nämlich gar keine rein vegane Ernährung. So kann plant-based auch bedeuteten, nur wenige tierische Lebensmittel zu konsumieren. Wir sind uns nicht sicher, inwiweit die Autor*innen dem Veganismus in seiner ursprünglichen Bedeutung damit nicht eher einen Bärendienst erweisen.
Wie wichtig die ethische Komponente für den Veganismus ist, betonen sie dann in einem Nebensatz doch noch selbst, wenn sie schreiben, dass 96% der Veganer*innen die Nutztierhaltung abschaffen wollen, wohingegen dies nur 15% der Flexitarier*innen fordern. Als Flexitarier*innen definieren die Autor*innen jene Menschen, die sich überwiegend, aber nicht rein pflanzlich ernähren. Also vermutlich die Zielgurppe dieses Buches.
In dem Kontext ließen sich dann auch die leicht abfällig wirkenden Abschnitte über „Puddingvegetarier“ (S. 55) und „militante Veganer“ (S. 36) kritisieren. Aber da die Intention des Buches eben kein Plädoyer für den ethischen Veganismus ist, sparen wir uns das und besinnen uns auf das, was das Buch möchte:
Zeigen, inwieweit eine pflanzenbetonte Ernährung förderlich für Gesundheit und Klima sind.
Von gesunder Ernährung und pupsenden Kühen
Das Gute vorweg: Was dieses Buch leistet, ist, wissenschaftlich fundiert zu zeigen, dass auch eine rein pflanzliche, also eine vegane Ernährung, nicht nur möglich ist, sondern sogar gesund sein kann – wenn einiges beachtet wird. Auf welche Nährstoffe besonderes Augenmerk gelegt werden sollte und was supplementiert werden muss, wird ausführlich behandelt. Dieses Buch kann also helfen, Skeptiker*innen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Außerdem liefert es zahlreiche Fakten, um auch vielen Falschbehauptungen aus der veganen „Gesundheitsszene“, in der es häufig sehr esoterisch zugeht, etwas entgegenzusetzen.
Ferner räumen die Autor*innen direkt zu Beginn mit verschiedenen Ernährungsmythen auf, u.a. mit der unsäglichen Behauptung, für Veganer*innen würde der Regenwald abgeholzt werden.
Des Weiteren finden sich Lebensmittelpyramiden und Tabellen mit pflanzlichen Alternativen zu tierischen Lebensmitteln in diesem Buch, was Interessierten sicherlich bei einem Umstieg auf eine pflanzenbetontere Ernährungsweise helfen kann.
Der aktuellen Studienlage zu verschiedenen „Zivilisationskrankheiten“ und deren Zusammenhang zu unseren Essgewohnheiten wird ein sehr langes, ausführliches Kapitel gewidmet. Hier wird dann auch schnell deutlich, dass der Verzehr tierischer Lebensmittel nicht per se ungesund ist. So zeigen Studien z.B. dass gelegentlicher Milchkonsum das Risiko, an einigen Krebsarten zu erkranken, senken kann.
Was das Buch nicht leistet: Abgesehen davon, dass es nicht zeigen kann, dass eine rein pflanzliche Ernährung gesünder ist als eine eine überwiegend pflanzenbetonte (was auch nicht die Intention gewesen zu sein scheint), vermag es auch bei der ökologischen Argumentation nicht gänzlich zu überzeugen. Das mag vielleicht daran liegen, dass die Autor*innen Ernährungswissenschaftler*innen sind und somit keine Expert*innen für Ökologie und Klimaschutz. So werden einige Aspekte hier schlicht zu kurz dargestellt, wodurch sie ihrer Komplexität nicht gerecht werden, z.B. das Thema pupsende Kühe. Es stimmt natürlich, dass Kühe Methan produzieren und Methan schädlicher als CO2 ist. Die Massentierhaltung verursacht große Mengen Treibhausgase und trägt damit zum Klimawandel bei.
Aber gerade das Thema Methan ist dabei doch etwas komplexer, als im Buch dargestellt. Ähnlich wie das CO2, das aus unserer Atmung entstammt, verhält es sich auch mit dem Methan. Beides ist Teil eines regenerativen Kreislaufs. Das Methan wird über Jahre hinweg in CO2 umgewandelt, das in Böden gespeichert wird und Gräser zum Wachsen anregt. Dieses Gras wird dann, zumindest theoretisch, wiederum an Kühe verfüttert. Allerdings grasen die Kühe aus der Massentierhaltung natürlich nicht friedlich auf Weiden und das Methan verbleibt dennoch zunächst für einige Jahre in der Atmosphäre. Ihr seht, das Thema ist komplex und die Zusammenhänge zwischen Böden, Methan und Weidewirtschaft sind noch nicht abschließend erforscht. Im Buch werden solche Themen z.T. zu oberflächlich behandelt.
Insgesamt ist das Buch leicht verständlich geschrieben, was sicherlich ein Pluspunkt ist.
Weitere Kritikpunkte
Es gibt einige Sätze, die uns persönlich doch etwas verwundert haben. Beispielsweise schreibt Annette Sabersky auf S. 305 davon, dass durch den Verzicht tierischer Lebensmittel mehr Geld für hochwertige Ökoprodukte übrig bliebe. Ist das tatsächlich so in einer Gesellschaft, in der tierische Lebensmittel nach wie vor staatlich subventioniert werden und z.B. Pflanzendrinks immer noch mit 19% statt 7% besteuert werden? Eher nicht.
Der Rat, nur Bio-Lebensmittel zu kaufen, geht finanziell leider an der Realität vieler Menschen in unserer Gesellschaft vorbei. Hier hätten wir uns gewünscht, dass aufgezeigt wird, bei welchen Obst- und Gemüsesorten es besonders sinnvoll ist, auf Bioqualität zu achten. Dies vereinfachte Verbraucher*innen mit geringem Budget eine Priorisierung.
Was uns auch fehlt, sind Fußnoten. Zwar finden sich am Ende des Buches ein sehr ausführliches Literaturverzeichnis sowie weitere Literaturtipps. Aber direkte Quellenangaben zu den einzelnen, zahlreichen Behauptungen wären wünschenswert gewesen.
Irritierend ist, dass z.T. von Vegetariern und Vegetarierinnen geschrieben wird, der Großteil des Buches jedoch im generischen Maskulinum verfasst ist. Das ist natürlich kein inhaltlicher Kritikpunkt, für uns aber trotzdem erwähenswert.
Genau wie die Tatsache, dass nur Dr. Markus Keller auf dem Buchcover, nicht jedoch Annette Sabersky, abgebildet ist. Vielleicht war dies ihr Wille, den es zu respektieren gilt. Allerdings entsteht so zunächst der Eindruck, als hätte nur ein Autor dieses Buch verfasst.
Fazit
Eine pflanzenbasierte Ernährung bringt unter bestimmten Bedingungen einige gesundheitliche sowie ökologische Vorteile mit sich. Es wird aber deutlich, was eigentlich schon vor der Lektüre des Buches klar war: Für die Gesundheit stehen Ausgewogenheit und der Verzehr von reichlich Gemüse, Hülsenfrüchten, Obst und Vollkornprodukten im Vordergrund. Verzichtet werden soll hingegen auf stark verarbeitete Lebensmittel sowie auf zu viel Zucker, Salz und Fett. Eine rein pfanzliche Ernährung ist weder eine hinreichende noch eine notwendige Prämisse für eine gesunde Ernährung. So steht im Buch selbst u.a., dass die „aktuellen Ernährunsempfehlungen zur Gesunderhaltung sowie Förderung von Leistung und Wohlbefinden“ (S. 52) einen Anteil von 75% pflanzlichen Lebensmitteln vorsehen. Gelegentlich auch tierische Lebensmittel zu verzehren, schadet der Gesundheit nicht. Ebenso kann mensch sich auch rein pflanzlich ungesund ernähren.
Das Gesundheitsargument allein mag folglich nach wie vor nicht zur Überzeugung einer veganenen Lebensweise reichen; dafür braucht es am Ende immer den ethischen Aspekt, der letztlich den Veganismus begründet hat. Leider gehen die beiden Autor*innen auf diesen nicht weiter ein. Das ist schade. Denn der Titel „Öfter mal die Sau raus lassen“ wäre ein wirklich gelungener für eine ebenfalls ethische Abhandlung über den Veganismus gewesen. Steht hier doch noch das Tier im Vordergrund, das im Buch selbst dann gänzlich in den Hintergrund rückt.
Wir empfehlen dieses Buch all jenen, die ihren Konsum tierischer Lebensmittel langfristig und nachhaltig reduzieren oder vollständig einstellen wollen.
Der Verlag hat uns das Buch kostenlos zur Verfügung gestellt. Wir haben uns zu diesem Buch unsere eigene Meinung gebildet, diese Rezension selbst verfasst und uns dabei weder des Klappentextes noch der Verlagsinformation bedient.
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